Die Welt ist aus den Fugen. Seit mehr als einem Jahr hält sie eine Pandemie gefangen, die anders als die spanische Grippe vor hundert Jahren nicht vergehen will. In immer neuen Varianten ebbt sie auf und ab, ein Gespenst, an das man nicht glauben mag, bis die Statistik der Betroffenen sich mit einem Namen verbindet, der uns nahe geht, Zahlen ein Gesicht bekommen, das uns berührt. Betroffen aber sind wir alle davon, auf verschiedene Weise, die Künste existentiell: Keine Ausstellungen, kein Theater, keine Konzerte – das Wort von der brotlosen Kunst hört auf, Klischee zu sein.

In einem solchen Augenblick kommt Post von Moritz Götze, er habe noch nie so frei und so viel gearbeitet wie in den vergangenen 14 Monaten, ob ich Lust hätte, darüber zu schreiben. Welch verrückte Nachricht, doch ich freue mich doppelt über das Lebenszeichen, bin ich doch gern von Zeit zu Zeit im Atelier des Hallenser Malers, der mit Bildern jongliert wie ein Artist mit Bällen oder ein Schriftsteller mit Worten. Dass ihm auch jetzt dieser Bilderstrom nicht versiegt, dass er mehr denn je aus innerer Überfülle zu schaffen vermochte, das ist die denkbar schönste Ermutigung, auch in den Zeiten vielfacher Nöte der eigenen Arbeit nachzugehen. Auch mir sind sämtliche Lese- und Vortragshonorare weggebrochen, und da ich den Druck meiner

Bücher selbst bezahle, weist meine Quartalssteuer für die ersten drei Monate ein tiefes Loch auf, in dem ich mich für den Rest des Jahres verstecken könnte. Doch wem wäre damit geholfen. Und außerdem ist meine Neugier auf die Bilder viel zu groß.
Also auf nach Halle. In der Burgstraße 20 stapeln sich halb bemalte Leinwände. Fast fünfzig Gemälde seien entstanden, sagt Moritz, mit frischer Farbe an den Händen und im Gesicht. Natürlich habe auch er den Ausfall lang geplanter Ausstellungen und die Beschränkung der gewohnten Kontakte als einen Einschnitt empfunden. Im Februar 2020 fuhr er noch nach Indien, im Ziegenbalg-Museum von Tharangambadie die Ausstellung „Grand Tour: Made in Kaisersaschern“ aufzubauen. Rüdiger Giebler, mit dem er seit 2016 über vier Kontinente tourt, musste mit Lungenentzündung daheim bleiben. Was sich hinter dem Warenzeichen „Kaisersaschern“ verbirgt, darüber wird noch zu reden sein. Impressionen aus dem Reich der Tempel, Gurus und heiligen Kühe, wo Arbeiter

auf Kautschukplantagen 60 Cent am Tag ver- dienen und Anstreicher mit sicherer Hand das Logo der Ausstellung auf eine Wand zaubern, darf man auf Göt- zes Bildern nicht erwarten. Nicht nur, weil dies bereits sein vierter Aufenthalt in dem Vielvölkerstaat war, der jetzt, ein Jahr später im Corona-Chaos versinkt. Götze ist weder Impressionist noch Naturalist. Er malt keine Stimmungsbilder, auch wenn ihn das Nebeneinander von schreiender Armut und üppigstem Reichtum, die Allgegenwart mythischer Riten und der Farbenrausch des quirligen Lebens beeindrucken, erschrecken, faszinieren und am Ende doch, zu Zeichen verdichtet, in seiner Bildwelt nachhallen.

Noch schien das bevölkerungsreichste Land der Erde verschont, noch konnte der Maler im März 2020 eine Werkschau in der Leipziger Galerie Irrgang eröffnen. Doch im April fielen bereits Ausstellungen im Feininger- Museum Quedlinburg und in Schwerin aus, im Mai öffnete die Skulpturentriennale in Bingen ohne Eröffnung. Zeit, sich ins Atelier zurückzuziehen, wo die Leinwände warteten, zur inneren Zwiesprache einluden.

Im Atelier: Versuch eines Porträts

„Das war seltsam“, sagt Götze, „zum ersten Mal seit Jahren konnte ich ausschlafen, hatte keine Ausstellungspflichten, keine Projekte abzuarbeiten, konnte malen, was mir einfiel. Da wurde ein richtiger Rausch daraus.“ Er lacht wie ein Junge, der einen Berg erstiegen hat. „Sprezzatura“ würde er den Katalog gern nennen, das sei Italienisch, sagt er, und liest mir die Übersetzung aus seinem Smartphone vor: eine Fähigkeit, anstrengende Tätigkeiten, die langes Üben voraussetzen, leicht und mühelos erscheinen zu lassen. Klingt gut, sag ich, aber dann zeigt er mir die Bilder, mit denen Google das Glitzerwort illustriert: gepflegte Herren mit Sonnenbrille und Edelbärten in Armani-Chic. Das bist nicht Du, sag ich, und er nickt, in Jeans und Pullover gekleidet, stimmt schon, sowas würde ich nicht anziehn. Aber schön klingt’s doch. Wer ist dieser Maler mit dem jungenhaften Lachen und den ersten weißen Haaren um die Schläfen, die ich jetzt erst bemerke, unter dem Oberlicht, das den Raum mit Helligkeit flutet. 1964 in Halle geboren, als die Hallorenstadt eine graue Diva war, der einstige Reichtum der Salzsieder

Jens-Fietje Dwars, geb. 1960 in Weißenfels, Schriftsteller, Buchgestalter, Film- und Ausstellungsmacher, Chefredakteur der Thüringer Literaturzeitschrift „Palmbaum“, Herausgeber der Edition Ornament, Verfasser zahlreicher Biografien, u. a. „Wo liegt Kaisersaschern? Nietzsches mitteldeutsche Herkunft und Heimholung“ (2000).

Katalog

Moritz Götze
Lebenszeichen
März 2022 - Mai 2021

1. Auflage
© 2021 mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)
www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten.
Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)
ISBN 978-3-96311-589-9 | Printed in the EU

verborgen, verschüttet unter den Aschewolken von Leuna und Buna, schien sein Weg vorgezeichnet. Der Vater Maler, die Mutter Malerin und Textilge- stalterin. Muss man da Künstler werden? Götze winkt ab, nein, nein, niemand habe das von ihm verlangt oder erwartet. Punk war er, Sänger und Gitarrist in Bands wie „Größenwahn“ und „Letzte Recken“. Einer, der anschrie gegen das Bestehende, das Fertige, die scheinheiligen Verhältnisse im vermeintlichen Arbeiter- und Bauernstaat, und dessen Liebe zugleich dem Vergangenen galt, Artefakten des wahrhaft Gelebten. Museumsdirektor war sein Traumberuf oder Restaurator. Weil er Museen mochte, überhaupt Geschichte. Vom Vater hat er das Sammeln geerbt, alte Reklameschilder aus Emaille, damit hat alles begonnen. Daher die Regale im Atelier, neben der wandfüllenden Plattensammlung, die Fächer mit Spielzeug, Dosen, rostzerfressenes Eisen, ein Glas- fenster aus dem späten Mittelalter, Maria mit dem Kind, und neuerdings mitten im Raum der Balkenstumpf ei- nes Kirchturms ... Jedes dieser Dinge hat seine eigene Geschichte und erzählt zugleich von der großen Historie, aus der wir kommen, an der wir mitschreiben, jeder auf seine Art. „Das interessiert mich“, sagt Götze: „Geschichte in Geschichten erzählen ...“

Manchmal lässt er die Dinge allein sprechen: Was man braucht hieß eine Siebdruck-Mappe mit 50 Gegenständen von 1992. Dann gibt es Ding-Collagen oder Materialbilder: In der Tradition der Readymades montiert er Alltagsgegenstände in Glaskästen, verbindet sie jedoch mit einer Zeichnung. Da sind zwei Männer zu sehen, dazwischen eine Frau, die hält das Modell eines Hauses in Händen, der eine Mann eine papierne Wolke über ihren Kopf, während der andre verzweifelt dreinblickt. Darüber steht Das Gewitter und unter der Buntstiftzeichnung sind zwei Kaffeelöffel befestigt. Rätselhaft auf den ersten Blick, einleuchtend auf den zweiten: die beiden lieben das Weib in ihrer Mitte und haben auszulöffeln, was man gemeinhin ein Gewitter nennt. – Eine Frau mit Blumenstrauß in Händen, von Efeu umkränzt, darunter ein Fahrradreparaturschlüssel. Titel: Glaube. – Ein Junge, wie ein Käfer, auf einer gelben Wiese liegend, Füße und Hände gegen ein dunkles Etwas gestemmt, darunter ein Familienfoto um 1900: eine Frau mit Kleinstkind und dessen Schwester. Last steht in der Zeichnung.

auch mit meinen Vorlieben zu tun: mit mittelalterlicher Glasmalerei, den Tafelbildern von Giotto. Da bin ich zuhause.“ Die Materialbilder sind Reliquien des Alltags. Ihr Geheimnis: sinnliche Gewissheit, Erfahrung des allumfassenden Ganzen in der Unmittelbarkeit reiner Anschauung. Für den Gläubigen des Mittelalters war Gott unerreichbar, doch fand er in den Heiligen Fürsprecher im Alltag. Die Glasfenster versinnbildlichten den Weg der seelischen Reinigung von den Bischöfen über die Heiligen bis hin zu den Aposteln und Jesus als Gottes Sohn. Sinnliche Gewissheit aber gaben die Reliquien, sie allein verbürg- ten in ihrer Gegenständlichkeit die vormals leibliche Existenz der Heiligen und damit die Hoffnung, die Zuversicht auf ein wundersames Wirken des Göttlichen im irdischen Hier und Heute. Mit Luther und dem Protestantismus begann der Abschied von den Heiligen, die Entzauberung der Welt, die zum Konglomerat wissenschaftlich erkennbarer Kräfte verkommt, zum Rohstoff ihrer technischen Ausbeutung.

Götze liebt Reliquien. Er hat nicht nur 2014 die Reliquien-Sammlung des Kardinal Albrecht von Branden- burg um neue „Heiltümer“ in Emaille erweitert, sondern mehrfach quasi Reliquiare für Handschriften geschaffen: Altäre, in deren Mitte sich Briefe von Friedrich dem Großen, Schadow oder der Prinzessin Louise von Preußen befinden. Keine Reproduktionen, sondern originale Autographen. Wie die Knochen eines Heiligen für den Gläubigen des Mittelalters magische Kräfte hatten, so die Schriftzüge auf dem Papier für den heutigen Betrachter: freilich nicht als Vermittler einer höheren Welt, wohl aber als Vergegenwärtigung vergangener Lebenskräfte. „Ich teile jene Stunde Lebenszeit mit Louise, die sie brauchte, um den Brief zu schreiben“, sagt Götze, „indem ich ihre Handschrift entziffere, komme ich ihr so nahe, als stünde sie neben mir.“ Das Berührende: ein Stromschlag aus der Verbindung zweier Lebenskreise, ein leiblich erfahrbarer Kurzschluss von Lebensenergien – blitzhaft, über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg.

Wie fremde Handschriften, so mag der Maler auch das Handwerk, etwas mit den Händen zu machen. Des- halb nahm er 1981 eine Lehre als Möbeltischler in Bad Kösen auf. Um Plakate für seine Bands zu machen, entdeckt er den Siebdruck für sich, richtet sich 1986 eine Grafikdruckerei ein. Er wird Angestellter in der Keramikwerkstatt seiner Frau, und somit auch Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR, ohne Studium, ohne Diplom. Eine Fotografin kauft zwei Blätter von ihm, der Galerist Peter Lang aus Leipzig sieht sie in ihrer Wohnung und vermittelt 1987 die erste Ausstellung in der Berliner Galerie „Schaufenster“. Es folgen offizielle Aufträge zur Baukunst, die Bemalung einer Bar, dann eines Jugendclubs. Nach der Wende die Gestaltung von Specks Hof in Leipzig mit Keramikfliesen (1994) und seit 2013 gar die Ausgestaltung einer gan- zen Kirche in Bernburg ...

Da möchte man an Wunder glauben. Doch nichts wurde ihm geschenkt, alles hat er sich selbst erarbeitet. Und seine Meisterdisziplin bleibt der Siebdruck. 1991 bis 1994 hatte der Autodidakt einen Lehrauftrag für Serigrafie an der Burg Giebichenstein, 1994 eine Gastprofessur an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Seine Gemälde gleichen auf die Leinwand übertragenen Siebdrucken. Ihr gemeinsames Kennzeichen: kräftige schwarze Umrisslinien und immer flächiger werdende farbige Hintergründe, die der Maler dynamisiert, indem er schmale Bereiche freilässt, als schwimme die Farbe auf dem Weiß der Leinwände. Wobei sich die Linienführung in dem Maße wandelt, in dem sich Moritz Götze mit den Bilderwelten seiner Vorgänger auseinandersetzt. Die frühen Arbeiten bis Ende der 1990er Jahre waren expressiv, anarchisch. Sie spiegelten den Aufbruch seiner Gene- ration, das Ausbrechen aus vorgeschriebenen Lebensbahnen und das tsunamihafte Überschwemmtwerden von einer bunt schillernden Warenflut.

Alles einfach, naiv, kindlich fast – und raffiniert zugleich: bis ins Kleinste durchdacht, gestisch genau, farblich abgestimmt. Das ist Götze. Die Nähe zum Comic liegt auf der Hand. Weshalb er von den einen als Erfinder des „deutschen Pop“ gefeiert, von anderen als „Micky Mouse-Maler von Halle“ belächelt wird.

Beides greift zu kurz. Seine Bilder sind abstrakt und konkret, schnörkellos sachlich und abgründig verträumt oder vielmehr traumverloren, das scheinbar Kindliche an ihnen ein Akt der Reduktion, der Konzentration, ein Destillieren des Wesentlichen. Nah an den Wurzeln jeglicher Kunst, speziell der des Mittelalters verwandt.

Götze: „Ich kann nicht anders malen, das hat

Hippe Youngster tummelten sich farbenfroh auf seinen Blättern und Gemälden, wie in Comics: jung, dynamisch, mit schnellen Autos und schönen Frauen in den Kulissen der Weltstädte. Endlich Pop, endlich Leichtigkeit in der deutschen Malerei, riefen die Kritiker und feierten das Wunderkind, das frei von akademischem Ballast eine bunte Bilderwelt für Jedermann schuf. Sprezzatura – das Schwere leicht gemacht, für seine Arbeiten mag das zutreffen, nicht aber für deren Macher, der selber nie ein Yuppi war, kein eleganter Partylöwe, eher ein Berserker, ein Arbeiter und Sprengmeister, der in den Steinbrüchen der Kunstgeschichte wühlt und nach Verwertbarem gräbt.
Die gefeierte Leichtigkeit stimmt nicht einmal für die Bilder selbst, schaut man sie etwas genauer an. Was die meisten Lobredner Götzes bis heute übersehen: Seine Figuren sind von Anfang an starr, in sich verloren, Gefangene ihrer Individuation, wie sie Nietzsche in Apoll verkörpert sah – dem Prinzip der Vereinzelung, das einen Moment aus dem Lebensstrom herausreißt, ihn Gestalt werden lässt und damit zugleich zum Tode verurteilt. Denn das Gewordene ist das Vergehende, beständig nur das sich ewig Wandelnde. Die schwarze Randzeichnung der Figuren erweist sich auf den zwei- ten Blick als Trauerrand atomisierter Gestalten, die gleichsam in kosmischer Leere durchs All schweben, beziehungslos, auch wenn sie neben- oder beieinander stehen oder liegen. Die bunte Bilderwelt des Moritz Götze ist zutiefst melancholisch, obwohl ihr Schöpfer das Leben bejaht. Vielleicht ist das deutsch, ein Erbe der Romantik. Götze hält uns einen Spiegel vor, er schock- gefriert die schöne neue Welt, den bunten Kosmos der wohlfeilen Dinge, in dem wir selber uns zu Dingen machen, ohne darüber zu klagen.

Dieser Spiegel hat sich in der Auseinandersetzung mit vor allem deutscher Kunstgeschichte gewandelt: An- fang der 2000er Jahre begann er, Ikonen der DDR-Malerei von Sitte, Womacka und Neubert mit seinen Stilmitteln zu verlebendigen, eine Beschwörung der Geister ostdeutscher Geschichte, um Abschied zu nehmen, sich zu befreien vom Alp der toten Geschlechter, der auf den Lebenden lastet. 2003 dekonstruierte er den Bildersaal deutscher Geschichte, ein Buch von 1890, das die Konstruktion einer Nationalgeschichte der Deutschen von den Germanen bis zum Kaiserreich in Idealform exerzierte. Und in den Folgejahren gerieten die Leitgestalten Preußens in sein Visier, mithin der Klassizismus, die Aneignung der Antike, des Traums vom Guten, Wahren und Schönen als Kleid und Verkleidung der Selbstent- würfe des klassischen Bürgertums, dessen Erben wir heute noch sind. Die Verfremdung des vorgefundenen Materials nötigt die Betrachter zur Auseinandersetzung mit den Bildern, die wir selbst im Kopf tragen, Mosaik- steine historisch gewachsener Weltbilder. Götze wurde so vom Geschichtenerzähler zum antihistoristischen Historienmaler, der die Voraussetzungen unserer Weltsicht infrage stellt.

Durch diese Arbeit an den Bildern hat sich aber auch seine eigene Bildsprache verändert: das Anarchisch- Ungelenke, Wild-Rohe der Anfangsjahre ist einer ge- schmeidigen Linienführung von anmutiger Sicherheit und klassisch geschulter Schönheit gewichen, aus dem Punk wurde ein Souverän. „Ich bin ein leidenschaftlicher Laienhistoriker“, gesteht Götze. „Wenn so ein Auftrag von außen kommt, wird er schnell zu einem inneren: ich eigne mir die Geschichten an und die verändern mich auch, das

ist ein Prozess, ich wachse mit ihnen.“ Erst mit der Ausgestaltung der Bernburger Kirche habe er sich die Vielschichtigkeit der christlichen Symbole an- geeignet, mit dem Pfarrer und der Gemeinde gemein- sam ein Bildprogramm entwickelt, das über den Tag hinausweist.

Und doch wirken auch die Gestalten seiner Kirchbemalung, selbst dort, wo sie in Gruppen beieinanderstehen, in sich verloren, wie auf all seinen Bildern zuvor, und ebenso auf seinen Adaptionen der DDR-Ikonen und des Bildersaals. Nun gut, könnte man sagen, das ist sein Personalstil, sein Markenzeichen. Vielleicht liegt dem aber doch mehr zugrunde, erscheint in dem Persönlichen das geschichtliche Moment, das ihn treibt. Mit Benjamin gesprochen, sind die Geschichtsbilder des Moritz Götze „mit Jetztzeit geladen“, mit der Signatur postmoderner Vereinzelung des einzelnen. Gerade da- durch gelingt ihm eine nichtreligiöse Wiederverzauberung der entzauberten Welt: Die in sich verlorenen Gestalten seiner Bilder erscheinen ihrer Zeit entrückt und kommen dem Betrachter im Betrachten näher, im Zeit- Raum des Bildes, das uns für eben diesen Augenblick unserer eigenen Zeit entbindet. Denn ein jeder ist ja, wie die vor uns Gewesenen und die nach uns Kommenden, in seine eigene Zeit geworfen. Etwas in uns will in all diesen Zeiten nicht aufgehen, das stillstehende Bild wird zum Filmriss, herausgesprengt aus der gewohnten Kontinuität erscheinen uns die Dinge und wir selbst mittendrin plötzlich fremd, ein Rätsel, das zur Deutung nötigt, zum Verstehen. Früher nannte man dieses Etwas – Geist.

Arbeit an der Wiederverzauberung Lebenszeichen von Moritz Götze

Jens-Fietje Dwars

Ein Ruf aus Halle: Überfülle in Corona-Zeiten ausmachen.

Hebammen warnen, berichtet eine Radiostimme am Morgen, dass sich Beckenlagen häuften. Die Zukunftsangst der Mütter übertrage sich auf das Ungeborene, immer mehr Kinder versäumten, sich vor der Geburt im Mutterleib zu drehen, als würden sie sich weigern, auf eine Welt zu kommen, in der sie nicht willkommen sind.