Kaisersaschern:
Die wundersame Rettung
der Nietzsche-Kirche in Pobles

Jens-Fietje Dwars

Das vielleicht wichtigste, lebendigste und nachhaltigste Werk des vergangenen Jahres ist ganz anderer Art und doch typisch für den Macher Moritz Götze: Im Oktober 2020 hat er mit Freunden den Kunstverein Kaisersaschern e. V. gegründet, um die Kirche von Pobles durch Umbau in eine Ausstellungshalle zu retten. Kaisersaschern hieß jener fiktive Ort, an dem Thomas Mann den Helden seines Nietzsche-Romans Dr. Faustus aufwachsen ließ.

Moritz Götze nahm, angeregt von Bazon Brock, diesen Ortsnamen als der kulturellen Mitte Deutschlands. „Made in Kaisersaschern“ heißt eine Ausstellungstour, die ihn und Rüdiger Giebler seit 2016 über alle fünf Kontinente geführt hat: von Halle über Brüssel und London nach New York, von Australien bis Neuseeland. Unter dem Warenzeichen Kaisersaschern erzählen die beiden Malerfreunde mit ihren Bildern die Geschichte dieses Lands der Burgen und Dome, der Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges und glanzvoller Barock-Residenzen, der Wiege der deutschen Chemieindustrie und des Schauplatzes blutig niedergeschlagener Arbeiteraufstände. Nicht willkürlich aufgesetzt, vielmehr organisch aus ihrer verschiedenen Malweise erweisen sie sich dabei Nietzsche durchaus verwandt. Wenn wir Götzes Kunst der Linienführung apollinisch nannten, so können wir die Bilder Gieblers mit Nietzsche dionysisch begreifen: Ob in großforma- tigen Ölbildern oder auf kleinsten Zeichnungen und Gouachen – immer dominiert bei ihm ein expressives Gewirr nervöser Linien, ein zuckendes Muskelgewebe aus kontrastierenden Farben, pulsierend, vibrierend, als seien sie auf dem Sprung in etwas anderes, in perma- nentem Gestaltwandel, unvollendet aus Prinzip, unbe- wussten Impulsen gehorchend, die sich wie im Traum überlagern und aufhuschen, um wieder zu verschwin- den. Wie Dionysos, der Gott des Rausches, der frucht- bringenden Lebendigkeit, die sich selbst zerreißend Neues erschafft.

2022 soll die Bilder-Tour der beiden in Pobles enden, wo eine 800-jährige Kirche seit 30 Jahren rettungslos verfällt, ein Gebäude, das selbst die Landeskirche von Sachsen-Anhalt bereits aufgegeben hat, als wolle sie Nietzsches Prophetie ein Denkmal setzen: „Gott ist tot.“

Dabei war und ist dies nicht irgendeine Kirche: Nietz- sches Großvater David Oehler hat hier, zwischen Wei- ßenfels und Lützen, gepredigt. Nach dem frühen Tod Carl Ludwig Nietzsches im benachbarten Röcken, wo Friedrich Nietzsche 1844 zur Welt kam, wurde Oehler sein Vaterersatz, führte er ihn in die deutsche Literatur ein, weckte seine lebenslange Liebe zu Goethe. Oehler starb 1859, seinen Grabstein hat der Kaisersaschern- Verein als erstes freigelegt, dann begann er den „Wald“ zu roden, der seit 30 Jahren, seit dem Zerfall des Daches im Inneren der Kirche gewachsen war.

Wenn es gelingt, die Ruine durch den Aufbau eines neuen Daches in eine Ausstellungshalle umzubauen, dann wird das ein Zeichen für die Lebenskraft der Kultur in Mittel- deutschland sein. Und ein Ort der Begegnung, ein Raum des Nachdenkens, der Besinnung. Denn Kaisersaschern war für Thomas Mann nicht einfach nur ein positives Symbol des kulturellen Reichtums dieses Landstrichs, sondern ein

sondern ein Gleichnis für den Irrweg deutscher Ge- schichte, der in die Finsternis des Nationalsozialismus mündete. Dessen Anfänge sah Mann im ausgehenden Mittelalter, im Protestantismus als einer Brücke nach vorn und zurück, zu neuzeitlicher Selbstbestimmung und fortgesetzter Teufelsseherei. Ausdruck einer Volkskrank- heit: der Verkehrung von Tatkraft in Innerlichkeit, einer Kompensation von weltscheuer Einigelung vor allem Fremden durch romantische Sehnsucht nach universaler Einheit, die zur Musik und Spekulation drängt.

Themen, die Moritz Götze schon mehrfach berührt hat, auch wenn er bislang das Nazireich aus seiner Bildwelt ausklammert, weil Popart vor dem Massenmord aus Rassenwahn versagen muss. Aber vielleicht findet er ja andere Mittel, auch diesen Abgrund deutscher Ge- schichte zur Sprache zu bringen. Allein schon die Ret- tung eines Kulturdenkmals durch Kunst im Zeichen ei- nes Romans der Weltliteratur wäre erstaunlich genug: nichts weniger als ein Wunder tätig vereinter Kräfte, an dem jeder mitzuwirken eingeladen sei.

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